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MICHAEL VOGELEY

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Kanu-Expedition in der Andamanensee

Wie 007 aber ohne goldenen Colt im Kanu durch die thailändische Andamanensee

Und Eva reichte Adam den Apfel des Paradieses… Von Michael Vogeley

Das Meer, auf dem wir paddeln, ist ruhig. Nur leichte Wellen kräuseln das klare, tiefblaue Wasser. Vor mir im dickwandigen, aufblasbaren Gummikanadier „rührt“ Ingrid vergnügt „in der Suppe“, wie ich ihr Paddeln geduldig kritisiere. Sie macht fünf Schläge, blickt dann wieder begeistert in die Runde, während ich mit einem Ziehschlag versuche die Fahrtrichtung zu halten. Backbord, steilt sich eine kleine Insel auf. Die Felsen aus allerbestem Kalk sind von Wind und Wetter erodiert. An der Wasserlinie, die ständig von Ebbe und Flut und den Wellen bearbeitet wird, haben sich tiefe Höhlen gebildet. Sie erinnern an die berühmten „Elefantenfüße“ des südfranzösischen Wildflusses Chassessac.

Meine Augenlider und die Tränensäcke sind unförmig angeschwollen. Die Äquatorsonne ist auf 8 Grad Nord unbarmherzig und strahlt mittags fast senkrecht vom Zenit. Gestern habe ich leichtsinnig vergessen, das Sonnenschutzmittel aufzutragen, und nun hat mich eine Sonnenallergie erwischt. Heute haben wir ausnahmsweise keine kühlende Brise, und nur mein wüstenerprobter Schech und Ingrids balinesisches Kopftuch verhindern, dass wir auf diesem wässrigen Brennglas einen Sonnenstich bekommen. Ihr Wunsch, der Hitze zu entrinnen, geht ebensowenig in Erfüllung wie ihr Stoßseufzer: „Vielleicht haben wir Glück und das Wetter ist morgen schlecht.“ Die Andamanensee, durch die wir paddeln, ist ganz sicher einer der schönsten Flecken dieses Erdballs. Besonders für den Golf von Phang Nga im Süden Thailands, „einem zu Stein gewordenen Traum im Meer“, gilt dieser Superlativ. Hunderte von Karstinseln wachsen aus den blauen Fluten, tragen dicke Überwürfe aus Urwald und „weinen“ Stalaktiten, die wie elegante Elefantenrüssel, an den Felswänden hängen – eine fantastische, zauberhaft schöne Welt aus Stein und Wasser.

Faul waren wir in den letzten sechs Tagen, genusssüchtig und verspielt wie kleine Kinder, die offenen Mundes eine neue Welt entdecken: die wunderbare Natur der Tropen, die auch heute noch ein Robinson-Leben zulässt. Wir fanden jeden Tag „unseren Strand“, „unsere Bucht“, „unsere Felswände“, „unsere Palmen“… In Thailand, dem „Land der Freien“ waren wir tatsächlich frei, nur wenig eingeschränkt durch Ebbe und Flut, die regelmäßig unsere Buchten trocken fallen ließen oder überfluteten, und begrenzt durch Essens- und Wasservorräte.

Im flachen Meer der etwa 100 Kilometer breiten Bay herrscht reges Leben und Treiben.

Thailand, das frühere Siam, ist doppelt so groß wie die Bundesrepublik. Sechzig Millionen quirliger Thais leben vor allem in den Städten. Davon allein Zwölf Millionen – das sind 20 Prozent – in der brodelnden Metropole Bangkok.

Die Andamanensee, durch die sich unser Kanadier schiebt, ist alles andere als menschenleer. Aber nur wenige der kleinen Inseln sind bewohnt.

Longtailboats, das sind hölzerne Kähne, plump und niedrigbordig, mit hohen wellenbrechenden Steven und einem brüllenden Zweitackter, der achtern an einer vielmeterlangen Welle befestigt ist, quirlen durch das Meeresbecken. Bei Ebbe ist der Marschboden oft nur Dezimeter überflutet und wird in küstennahen Gebieten quadratmeilenweit bloßgelegt.

Wehe, wenn in diesen flachen Gewässern Sturm herrscht: die Grundseen werden gewaltig. Der Tidenhub würde die Erdgeschossräume eines Hauses komplett mit Wasser füllen und im ersten Stockwerk die Möbel an der Decke schwimmen lassen – regelmäßig, man kann die Uhr danach stellen: sechs Stunden auflaufendes Wasser – die Flut – sechs Stunden fließt das Meer wieder aus der Bucht in den Indischen Ozean hinaus – die Ebbe.

Wir paddeln durch einen unvorstellbaren Reichtum an Naturschönheiten. Zwischen zwei Inseln, die einen vielhundertmeterhohen Canyon mit senkrechten Felsflanken bilden, schwimmt unser winziges Gummiboot, von Rudern geschoben und von der Ebbe gezogen. Das Gluckern der Wellen wird vom rasenmäherartigen Motor eines Longtail-Bootes übertönt. Ein Fischer fährt seine bescheidene Holzwanne in Richtung der an der Kimm sichtbaren Holzpfähle, die durch Netze und die Gezeiten eine prächtige Fischfalle bilden. Wir lächeln ihn an. Er grinst zurück und tuckert längsseits. Wie so oft der prüfende Daumendruck, um die ungewohnten, prallen Wände unseres Gummibootes einzuschätzen. Unsere Zeichensprache ist eingespielt. Sofort nickt er zustimmend, und wir zurren die Boote – Bug an Bug – fest und wechseln über.

Dazu besitzen sie eine entwaffnende Liebens­würdigkeit und ein offenes Lächeln, das uns verklemmte Europäer verlegen macht.

Mit übergeschlagenen Füßen lassen wir uns den Fahrtwind um die Nasen wehen, während der Thai den langen „Rührstab“ des kleinen Außenborders ins Wasser hält und die stark gebogene breite zweiflügelige Schraube Gischt aufwirbelt. Wir radebrechen. Mit Hilfe unserer Seekarte, einigen Worten Thai, viel Zeichensprache und einer Menge Gestik erkläre ich unsere Reiseroute: „Klong Panyi, Ko Panyi, Ko Mak, Ban Laem Tak, Laem Taeng, Krabi…“ „Klong“ ist ein Kanal, „Ko“ eine Insel, „Ban“ ein Dorf und „Laem“ ein Kap. Er versteht, nickt respektvoll und nimmt die internationale Währung, eine Zigarette, mit dem thailändischen „Danke“ – männliche Form – entgegen: „Koop kung kap!“ Die Sprache der Thais ist kompliziert, aber sie kann Dinge beschreiben, für die uns die Wörter fehlen. Sie schwelgt in unterschiedlichsten Bedeutungen, je nach Höhe und Tiefe des Tonfalls und nach Geschlecht des Sprechers. Ingrid bedankt sich artig mit (weibliche Form): „ Koop kung ka!“ Der Weg zum Verständnis des Landes und seiner Menschen ist schmal und heikel. Eines jedoch hilft immer und überall: Freundlichkeit und ein Lächeln. Wenn man großspuriges Gehabe vermeidet und sich um Zurückhaltung und Natürlichkeit bemüht, begegnen einem die Thais – ob Mohammedaner oder die sprichwörtlich gelassenen Buddhisten – mit echter Herzlichkeit.

War es erst gestern, als uns am phantastischen Strand von Laem Taeng, „Ali Baba und die vierzig Räuber“ (Orginalton Ingrid) überfielen? Wir dösten in der Mittagshitze und genossen unsere einsame Insel. Ein Strand wie aus dem Bilderbuch, mit Sand allerfeinster Sorte, einer schützenden Grotte gegen die tropischen Gewitter, himmelhohen Felswänden und einem Dschungel, in dem Affen und Vögel lärmten. Die gleichmäßigen, geschlängelten Riefen im feinen Höhlensand hatte ich Ingrid verschwiegen. Was sollte uns eine zweifingerdicke Schlange auch antun? Sie hatte sicher mehr Angst vor uns, als wir vor ihr.

Wir waren uns selbst genug, und unser ereignisloses Leben hatte sich auf den sanften Konsum von Ruhe, Natur und Paradies eingependelt. Nichts wünschten wir uns, fast nichts. Nur das Bier war über Umwegen ins Meer geflossen, und Ingrid träumte von den Wundern der Thai-Küche, die – ich gab es zu und kaute an einer kleinen Banane – „dank ihrer Vielfalt und raffinierten Würzkunst zur besten der Welt gehört“. „Aber auch zur schärfsten!“ ergänzte ich ihre Träume und wischte mir die Schweißtropfen von der Stirn, die vom senkrechten Glutball kamen und nicht von einer stoffwechselfördernden, heißgewürzten Wok-Kulinarität. Wir waren jedenfalls müde, hatten Hunger und diskutierten voller Respekt die Strecke offenen Meeres, die wir morgen zu überwinden hatten.

Das ohrenbetäubende Zikadenkonzert wurde durch drei Longtail-Boote unterbrochen, die zielstrebig auf unseren Strand zusteuerten. Ich verwünschte meinen Leichtsinn, die blaue Zeltbehausung nicht mehr versteckt zu haben, legte die Rettungsraketen bereit, die – als Geschosse – mögliche Angreifer abwehren sollten, versteckte das große Survivalmesser so, dass ich es blitzschnell aus der Scheide ziehen konnte. Ich kam mir in dieser Situation kein bisschen lächerlich vor.

Gegen die sechs Männer hatte ich im Ernstfall zwar keine Chance, aber die Handgriffe waren beruhigend. Außerdem fühlte ich mich für Ingrid verantwortlich, die abenteuerliche Reisen erst seit kurzer Zeit begeistert angenommen hatte, aber mit anderer Bewertung der Schwierigkeiten: Da, wo es wirklich ernst wurde, lachte sie, weil sie die Probleme anders einschätzte. Und wenn die Situation beherrschbar war, wurde sie nervös. Sie vertraut mir, und daher versuche ich – übervorsichtig – soweit voraussehbar, sie keiner kritischen Situation auszusetzen. Dieses Vertrauen ist eine Belastung, macht mich aber auch stolz.

Auf die Fersen gelehnt, hockten sich die wilden Seezigeuner um unser glimmendes Feuer.

Der primitive, hölzerne Anker flog in den Sand, die flachen Kiele der Boote fuhren auf den Strand. Die verwegenen Gestalten in weiten Pluderhosen sprangen ins knietiefe Wasser und zogen die Kähne, als Schutz gegen die Flut, noch ein bisschen hoher. „Sawasdee“, begrüßte sie Ingrid. Das heißt: „Willkommen!“

Sie versuchten Konversation – „Woher, wohin? Damit?“ und zeigten blitzende Zähne. Freundlichkeit, Wohlwollen und Neugierde sprachen aus allen Gebärden.

Aufgeblasenen Backen machten ihr Gesicht noch buddha-ähnlicher, als sie unser Feuer wieder anblies und die Krabben in der Glut garte. Das Schäkelmesser beschäftigte Ingrid über Stunden, als sie den köstlich gegarten „Puuhs“ durch die harte Schale „auf den Grund“ ging, während die „Ali Babas“ lachend unseren aufblasbaren Kanadier anhoben, die Paddel ausprobierten, und ihre ungezwungene Fröhlichkeit unsere einsame Bucht erfüllte. Wir waren einer der ihren, hatten zwar ein eigenes Boot, waren aber offensichtlich so arm, dass wir uns keinen Motor leisten konnten, lebten wie sie am und vom Meer, inmitten einer phantastischen, prähistorischen Landschaft.

Stunden später war der Spuk vorbei, und die Longtail-Boote fuhren ins glitzernde Gegenlicht der silbrigen Wellen und in die sinkende Sonne.

Eine Bootsfahrt durch die verwunschene Welt der Phang-Nga-Bucht gehört zum landschaftlich Eindrucksvollsten, das man in Thailand erleben kann. Ob diese Seezigeuner realisierten in welchem Paradies sie leben? Und wie gefährdet es ist? Wir versuchten, das abgedroschene Statement des „sanften Tourismus“ zu realisieren. Dass wir dabei das Gastland, seine Sitten und Gebräuche respektieren, wie es unsere grobe Sensibilität erlaubt, ist eine Mindestvoraussetzung. Die Zeichen waren deutlich: Drüben blinkte die Küste von Phuket, „die Insel der Hügel“, Thailands größtes Touristikzentrum im Süden des Landes, das Jahr für Jahr Hunderttausende Erholungssuchende konsumieren. Die ehemaligen Traumstrände sind voll mit lärmenden Diskos und „First-class“-Betonburgen. Dorthin war es von unseren Paradiesen keine 50 Kilometer über offenes Meer.

Der Fischer drosselt den schwachen Motor bei den Stangen im Wasser, an denen die Netze verankert sind. Hier ist sein Arbeitsplatz. Wir bedanken uns artig, klettern ins Kanu, winken und lassen uns mit der Flut zur Küste ziehen. Wieder einmal hat der „Anhalter“ geklappt.

Krabi, unser Ziel, in der Ferne im Dunst erkennbar und dessen Lichter in der Nacht über drei Dutzend Seemeilen bis zu unseren Biwaks blinkten, ist dabei, ein „Phuket“ zu werden. Die angeschwemmten Plastiktüten, Flaschen und Gummiteile räumten wir vor jeder „Inbesitznahme“ eines Strandes beiseite. Es war nicht viel Abfall – aber er war schon da! Die Inseln sind zweifelsohne ein Paradies, aber ein gefährdetes!

Wir paddeln einträchtig den Kokospalmen und dem nächsten blendendweißen Strand entgegen, gehen jedoch noch nicht an Land. Wir haben noch einige Kilometer Tagesziel vor uns. Der Sand geht dann in Mangrovenwälder über und zerfließt im Grün des Dschungels. Bäume tragen immergrüne Lederblätter und stehen auf weitverspreizten Stelzwurzeln. Blaugrün schimmert durch sie das Licht, das von zäher Feuchtigkeit erfüllt scheint. Dahinter wallt die grüne Fülle des tropischen Urwalds. Der in Jahrmillionen gewachsene Kompost aus toten Blättern und faulem Holz, bringt in diesen Breiten die Hälfte aller Pflanzenarten des Erdballs zum Wachstum – ein Experimentierfeld der Natur.

Die roten, glattgewaschenen Felsen mit den winzigen Sandstreifen sind ein landschaftlicher Höhepunkt. Wie gerne würde Ingrid bleiben, denn die Paddelei in der Tropensonne macht kaputt! Unser Feind ist die Flut. Hier können wir nicht gefahrlos lagern, ohne von Wasser eingeschlossen und schließlich überspült zu werden.

„Kein Paradies ohne Dornen!“ ist unser ständiger Spruch, vor allem, wenn uns in den Abendstunden Moskitos piesacken, denen wir mit Skandinavien erprobtem „Dschungelöl“ versuchen, den Geruchssinn zu verwirren. Resochin, das bewährte Anti-Malaria-Mittel, verliert seine Wirkung bei den resistenten Quälgeistern. Wir bekommen durch das Medikament einen gelblichen Durchfall. Brav nehmen wir alle zwei Tage eine halbe Tablette und versetzen unsere Gedärme in knurrende Aufruhr.

Dicht lehnen wir aneinander, erleben schweigend, wie die Berge im Westen sich verdunkeln und der Himmel zu glühen beginnt. Wir reden nicht, – wozu auch? – und schauen nur…

Im Zelt ist es wie in einer Sauna. Die schweren Tropfen des Gewitterregens prasseln auf das Überzelt, der Reißverschluss ist nicht dicht, und es tropft. …. Der Schwüle kann man auch nackt nicht entrinnen. Dabei haben wir unsere Schlafsäcke gar nicht erst mitgenommen und schlafen in große Bettlaken gehüllt. Das Moskitonetz vor dem Zelteingang ist wichtig. Es lässt die sanfte Meeresluft durchstreichen und hält die Stechmücken ab.

Als der Platzregen vorbei ist, krieche ich hinaus und reiße die wasser- und winddichte Plane herunter. Luft, ich atme die herrlich frische, kühle Luft von plus 25 Grad Celsius gierig ein. Ingrid liegt zusammengerollt wie ein Igel auf ihrer Thermomatte, während ich im hellen Licht des zunehmenden Mondes am Strand sitze und misstrauisch die höher steigende Flut mit dem fluoreszierenden Plankton beobachte, die kaum einen Meter vor unserem Lager ihren Höchststand erreicht. Morgen werden wir wieder paddeln und versuchen, „per Anhalter“ nach Krabi zu kommen.

Wir müssen uns unbedingt in Süßwasser waschen. Das Salz sitzt in der Kleidung und am Körper und beginnt zu jucken. Heute macht mir Ingrid zum ersten Mal einen gestressten Eindruck. Das ist für mich das Zeichen, sie wieder in die Zivilisation zu bringen. In Krabi erwartet uns ein komfortables Hotel. Ingrid, geboren in der Gegend von Köln, singt mit Galgenhumor in heimatlichen Rheinisch:

„Wenn im Zelt de Mück'n, und de Hummeln dich verjücken
und du kannse nich hinaus in'n Rähn…
Da lachse dich kaputt, dat nennt man Camping
da lachse dich kaputt dat Ding is schön…“


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