MICHAEL VOGELEY
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Die Magellanstraße im Kajak
Die See ging hoch und die Gefahren waren groß, als Michael Vogeley und Gerhard Miosga erstmals in zerbrechlichen Faltbooten durch die südamerikanische Magellanstraße paddelten und sich damit in eines der schwierigsten Seegebiete der Erde wagten, die Kap Hoorn-Region. Sie folgten dem Weg des portugiesischen Entdeckers Magellan, der vor einem halben Jahrtausend den Weg vom Atlantik zum Pazifik fand und damit den Schlüssel für die Umrundung der Erde.
Die Magellanstraße liegt zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean. Sie trennt die Südspitze des südamerikanischen Festlandes von der Insel Feuerland. Die Meeresstraße ist 563 km lang und zwischen 3 und 24 breit. Der portugiesische Entdecker Ferdinand Magellan befuhr diese Meerenge im Jahr 1520.
Hier, im Paso del Mar, ist ausnahmsweise die Hölle nicht los. Trotzdem versagen unsere Überredungskünste, als wir Conrado zu motivieren versuchen, uns auf der anderen, der südlichen Seite abzusetzen. Ihm ist das Risiko zu groß. Er hat Angst, die enormen Wellen zu kreuzen, die der pazifische Schwell in die Straße rollt, und die von der Tide gebrochen werden. Für ihn ist unser Plan, wie Gott versuchen. Wir akzeptieren.
1520 fand der Portugiese Hernando de Magellan nach unsäglichen Strapazen und blutigen Revolten seiner Mannschaft, die den Wahnsinn einer Weltumsegelung nicht weiter mitmachen wollte, den sagenhaften Durchschlupf vom Atlantik bis zum Pazifischen Ozean.
Der Westweg nach Indien, zu den reichen Gewürzinseln und rund um den Globus war offen. Die Kugelgestalt der Erde wurde bewiesen, das ptolemäische Weltbild endgültig ad absurdum geführt. Der Schlüssel war die Bezwingung des „Bollwerks Amerika“, das den Weg nach Westen versperrte.
Die Magellanstraße, ein Irrgarten aus Inseln, Sunden und Kanälen, wurde zum alles entscheidenden Durchschlupf. Magellan mutierte durch diese Tat zu einem der wagemutigsten Seefahrer, den die Geschichte hervorgebracht hat. Seine Fahrt wurde die herrlichste, aber auch eine der brutalsten Odysseen in der Geschichte der Menscheit.
Doch Magellan konnte seinen Triumph nicht auskosten; nur wenige Wochen nach seinem größten Erfolg wurd er bei einem Gefecht mit Eingeborenen von einem Speer durchbohrt.
Point of no return
Vor uns liegt der wildeste, der einsamste Teil der Magellanstraße – sturmgepeitscht, von hohen Gletscherbergen eingerahmt, von Urwald gesäumt und vom ständigen Sturm gebeutelt. Wir wollen diesen berüchtigten Seeweg mit zwei Klepper-Faltbooten, Kajaks, ähnlich wie sie die patagonischen Ureinwohner benutzten, befahren. Wir sind in den Wildnissen dieser Erde nicht unerfahren. Doch ist die Straße auch für uns eine ernste Herausforderung. Niemals zuvor wurde es gewagt.
Die Explorador verabschiedet sich eilig mit heulender Sirene. Conrado traut dem Frieden nicht und will so schnell wie möglich in die geschützten Kanäle zurück. Wir stehen verloren am Ufer der Punta Havanna, abgenabelt, nur noch uns verantwortlich. Der Schlüssel zum Durchkommen sind unsere Kajaks.
Wir sind in der trügerischen Milde unendlich einsam, ausgesetzt in einer Urlandschaft von beklemmender Herbheit und verloren in einer Wetterküche voller Überraschungen.
Wir haben Hunderte Kilometer unberührter Wildnis vor uns – in welche Richtung auch immer. Ein Zurück gibt es nicht. Am „point of no return“ starten wir.
Auftakt
Der Weg rund um die Welt: Nachdem Magellan die Seeroute von Europa nach Asien um Südamerika herum entdeckt hatte, überlegten Forscher, ob es auch einen Seeweg im Norden Amerikas geben könnte. Einen kürzeren Weg, als diese beschwerliche Südroute. Aber erst zwischen 1903 und 1906 entdeckte Amundsen die Nordwest-Passage.
Die ersten Paddelschläge ziehen kreisrunde Strudel im salzigen Wasser. Lautlos gleiten die Kajaks über Felder aus Kelp, jenen tangähnlichen Wasserpflanzen, deren Konsistenz an schwimmenden Kaugummi erinnert, und die, zäh wie Plastik, für uns ein ernstes Hindernis sind.
Wir halten uns in Ufernähe und verlassen die schützende Bucht. Das Wetter zeigt sich von seiner unerwarteten – und auf der ganzen Expedition einmaligen – besten Seite. Kaum ein Hauch kräuselt die Wasseroberfläche. Der beruhigende Auftakt ist Balsam für Nerven und Seele.
Nach Stunden landen wir im Paradies, in einer Bucht, die nur für unsere Kajaks befahrbar ist. Wir inhalieren ein unberührtes Stück Natur, eine traumhaft wüste Urlandschaft. Es scheint, als hätte dieses Stück Erde noch keines Menschen Fuß betreten. Das Ufer trägt einen undurchdringlichen Überwurf aus Urwald. Lange Äste schwingen von den Bäumen und berühren die Wasseroberfläche. Wo finden wir in diesem undurchdringlichen Dschungel einen Lagerplatz?
Am Ende der Bucht sprudelt ein Bach glasklares Wasser in einen See. Auf einer winzigen Wiese finden wir mit Mühe einen sumpfigen Platz für unser Zelt. Das flatternde Zuhause ist ein Schlüssel in dieser weltfernen Wildnis. Die Berge werden von einer elegischen Abenddämmerung eingefärbt.
Paddelalltag
Stunden der Einsamkeit, umgeben von der Urnatur der Estrecho de Magellanes.
Draußen in der Straße hat der ständige West aufgefrischt und weiße Kronen auf die Wellen gesetzt. Wir überwinden den inneren Schweinehund und paddeln aus der geschützten Bucht. Mindestens Windstärke Sechs, Estrecho-Alltag. Wir werden gehoben, geschoben und gedrückt. An den Uferfelsen gischten Brandungswellen. Wieder einmal werden wir gefordert und paddeln mit hohem Puls und noch höherem Adrenalinspiegel. Die anrollenden Wellen beobachten, abschätzen, die Angst kontrollieren, und, wie im Wildwasser, rechtzeitig mit dem Paddel hinter dem durchrollenden Brecher abstützen.
Keiner von uns darf kentern. Niemals! Wir hätten nur geringe Chancen, die Kajaks aufzurichten, auf den tanzenden Booten über Bug zur Luke zu kriechen, 'reinzuschlüpfen und das vollgelaufene Schiff auszuschöpfen. Nicht bei diesem Wellengang! In dieser aufgewühlten See sind wir chancenlos. Eine Eskimorolle ist mit den schwer beladenen Boote unmöglich. Manchmal sehe ich Gerhard nicht mehr. Dann haben wir eine Woge zwischen uns, obwohl wir nur wenige Meter nebeneinander paddeln. Oder ich sehe den silberfarbenen Vorderkiel seines Kajaks über mir.
Wir bleiben bei unserer Taktik in Ufernähe zu fahren, die ein trügerischer Sicherheitsfaktor ist. An der Steilküste würden die Kajaks bei diesem Wellengang zerschmettert. Hellwach und kritisch prüfen wir den Verlauf der Felsen. Landeplätze sind auch für unsere kleinen Boote rar: Zu dicht ist die Vegetation, zu abweisend das felsige Steilufer.
Williwaws
Wind und Wellen treffen uns von schräg hinten. Ich luge misstrauisch nach achtern, denn von dort rollt das Wetter. Eine kohlrabenschwarze Schauerwolke zieht auf und fegt einen Schwall Salzwassertröpfchen und Schnee mit einer Böenwalzen über die unruhige See. Ich passe höllisch auf, dass mir die Windstöße nicht das Paddel aus der Hand reißen. Graupelschauer prasseln auf die Spritzdecke und haben nur einen Vorteil: Wir haben beste Voraussetzungen dafür, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Gischt wirbelt über das offene Wasser. Williwaws werden diese pikanten Fallwinde genannt, die mit Orkanstärke die Felsflanken hinunterorgeln und das Wasser zu Fontänen hoch peitschen. Wir schauen aus sicherer Position dem schauerlichen Spiel zu. Wortlos sehe ich Gerhard an: Wenn uns ein solches Wetter auf offener See erwischt, sind wir chancenlos, mausetot. Solche Böen können auch große Schiffe flach aufs Wasser drücken. Unsere Kajaks reagierten in diesen Schnellzugwinden wie Schaumflocken.
Arved Fuchs, Kenner der Region, Seemann und berühmter Abenteurer, gab uns mit auf den Weg: „Wenn das Baro in kurzer Zeit in den Keller fällt, gibt es nur eine Taktik: An Land!“ Die Kaltluft aus der enormen Eismasse der Antarktis wird über dem Meer mit Feuchtigkeit aufgefüllt, brandet ungebremst an die patagonischen Berge, entlädt sich dort und nährt eine der größten Inlandeismassen der Erde, den Hielo Continental. In der Straße, im Luv, regnet und stürmt es fast ununterbrochen. Fünf Meter Niederschlag pro Jahr werden nur von einigen tropischen Regenwaldzonen übertroffen. Ein triefendes Land.
Der Wind – Grundvoraussetzung für die Seefahrt, enorm wichtiges Wetterelement, bei zunehmenden Geschwindigkeiten aber auch eine große Gefahr. Doch wie bemessen sich die sog. Windstärken und welche Auswirkungen haben sie?
Meteorologen und Seeleute benutzen die dreizehnstufige Beaufort-Skala, um die Windstärke anzugeben. Sie wurde 1805 vom brit. Admiral Sir Francis Beaufort festgelegt und ist seit dem 1.1.1949 int. gültig.
Achterbahn im Paso Tortuoso
„Feuerland blinkt als eine Linie fantastischer Berge. Robben umspielen uns, und wir genießen die überwältigende Natur“
Die Blasen an den vom Eiswasser aufgeweichten Händen sind inzwischen strapazierfähigen Schwielen gewichen. Wir paddeln routiniert und kräftesparend in dieser Schlüsselstelle. Hier rennen die unterschiedlichen Gezeitenströme des Pazifik, des Atlantischen Ozeans und des bodenseegroßen „Sunds Seno Otway“ aufeinander und bauen unberechenbare Kabbelseen auf. Crosstide ist der bezeichnende Name der Spitze der Insel Carlos III., die in die Engstelle ragt.
Wir umrunden die trügerisch ruhige Südostecke der Halbinsel Cordova und haben die Herausforderung der Überquerung des Canal Jeronimo vor uns. Das nüchterne britische Seehandbuch mit dem blauen Kunststoffeinband warnt eindringlich vor unberechenbaren Kreuzseen. Doch wann und bei welchen Tidenverhältnissen treten die Wellen auf? Darüber schweigt sich das schlaue Brevier aus. Bis heute gibt es weiße Flecken auf der Landkarte, sind Seitenarme der Straße nicht kartiert.
Die See schaut machbar aus, obwohl linsenförmige Wolken über ultramarin schimmernden Gletschern einen Sturm ankünden. Los!
Wir erhöhen die Schlagfrequenz und treiben die trägen Zweierkajaks über das Meer. Dann sind wir mitten im Kanal, hinter und vor uns nur Wasser. Eben war die See noch ruhig, doch in Sekundenschnelle kocht es um uns. Die Stoffboote werden zum Spielball.
Wir tanzen auf rauhem Wildwasser und werden von federweißer Gischt beflockt. Wir reagieren auf die Brecher mit der Geschwindigkeit eines elektrischen Impulses. Der Wind dreht und droht uns auf die offene Straße zu blasen, reißt die Wärme von den feuchten Neoprenhandschuhen. Wir kämpfen uns meterweise einer Bucht entgegen und fahren Achterbahn. Erstmals auf dieser Expedition spüre ich die ernüchternde Endlichkeit meiner Kraft…
Land unter den Füßen! Der rettende Urwald wogt im Starkwind wie die See. Ich liege in meinem wasserdichten Anzug nur wenige Meter neben der Brandung, die in die weite Bay rollt und sich im flachen Ufer verliert, Gerhard neben mir. Schwer atmen wir unsere Erschöpfung in den Kies. Wie lange sind wir am körperlichen und psychischen Limit gepaddelt, um lächerliche drei Kilometer zu überwinden?
Dieser verfluchte Kanal.
Der Südpunkt Amerikas, Cabo Froward
Cabo Froward – Amerikas Südspitze.
Fälschlich wird Kap Hoorn als die äußerste Spitze Amerikas bezeichnet. Doch das ist nur bedingt richtig. Denn das berüchtigte Kap wird von der chilenischen Insel Hoorn gebildet, die Willem Cornelis Schouten nach seinem Geburtsort Hoorn in den Niederlanden benannte, als es ihm als ersten Seefahrer gelang, dieses gefährliche Kap zu umschiffen.
Der südlichste Punkt des amerikanischen Kontinents aber ist Cabo Froward auf der chilenischen Halbinsel de Brunswick.
Die Straße biegt nach Nordosten ab, und hohe Berge scheinen Schutz vor dem permanenten Westwind zu versprechen. Wie so oft auf dieser Expedition wird uns das intelligente Kalkül durch die Realität aus dem Kopf geblasen.
Früh, sehr früh, sitzen wir in unseren Booten. Nach der tobenden Nacht sind die „Weißen Pferde“, wie wir die schaumigen Wellenberge nennen, verschwunden und akzeptablen Wogen gewichen. Der Wind bläst mit nur vier Windstärken aus Südwest und trifft uns von der Seite. Nur 15 Kilometer sind es vom letzten Biwak bis zum Kap. Doch an der Steilküste gibt es keine Möglichkeit, ans Ufer zu fliehen. Egal wie das Wetter ist, wie hoch die Wellen branden, wie stark der Wind bläst: Wir müssen durch. Welche Überraschungen wird der Südpunkt für uns bereithalten?
„Ich bin geschockt. Wir paddeln auf eine rostende Bohrinsel zu. Ein Mahnmal für die abnehmenden Erdöl- und Gasressourcen, die der Region Reichtum schenken“
Dann der Felsen des Kaps, ein roter Leuchtturm… Gerhards nach oben gestreckte Daumen signalisiert: Geschafft. Wir reißen vor Freude die Paddel in die Höhe, sind leichtsinnig, und einige Sekunden nicht auf der Hut. Es geht gut. Tagelang waren wir wie scheue Tiere auf dem Sprung. Jetzt wartet nur noch „Strecke“ auf uns. Der unberechenbarste Teil der Estrecho liegt hinter uns.
Eine Traumbucht erwartet uns eine Meile hinter dem Kap. Die ruhige Bucht schreit nach einem Rasttag. Für uns Bergsteiger ist es Ehrensache und Pflichtübung, auf das Kap zu klettern und die Estrecho von oben zu erleben.Das riesige Eisenkreuz schwankt im Sturm, der noch stärker tobt, als unten in der Straße. Wir taumeln im Orkan und können uns nur mit Mühe aufrecht halten. Der Endpunkt des Kontinents wirft uns fast um.
Die Zivilisation hat uns wieder
120 Kilometer trennen uns noch von den Menschen, von der südlichsten Stadt des Erdballs, von Punta Arenas. Hier haben wir die Expedition gestartet, hierher führen alle Wege – und Straßen. Auch die Estrecho.
Die Pflichtübung wird ein unerwartet harter Weg, der uns das Letzte abverlangt. Wir kämpfen gegen die Weststürme, die über die Berge fegen und das Meer zum Kochen bringen. Kaum zu glauben, aber wahr:
Winzige fünf Meter vom Ufer entfernt, mit Windmühlenpaddeln gegen orkanartige Böen anzukämpfen, um den greifbar nahen Kiesstrand zu erreichen, werden zum Überlebenstrip. Wir haben allen Ehrgeiz, nicht über die 30 Kilometer breite, kochenden Straße auf die mit Zuckergussbedeckten Gletscher Feuerlands geblasen zu werden. Hier, im „sicheren und ruhigen Teil“, erfahren wir nicht nur unser Limit, sondern ahnen auch die Grenzen des Menschenmöglichen.
Die Ufer sind flach, der Strand ist kiesig, und mein Bewegungshunger ist grenzenlos. Kilometer treideln wir die schweren Kajaks am flachen Ufer. An Paddeln ist nicht zu denken. Eine völlig neue Dimension: die Estrecho zu Fuß? Die seitlich anrollenden Wogen und die Fallböen lassen uns keine Wahl. Wir wollen Punta Arenas mit fairen Mitteln erreichen, aus eigener Kraft.
Vorbei ist es mit der Unberührtheit der Landschaft, der Wildnis, der Menschenferne. Die Zivilisation wirft ihre Schatten. Wir verlassen ein isoliertes und empfindliches Ökosystem. Fröhlichbunte Wellblechhäuser blinken im fantastischen subantarktischen Licht. Wir haben es geschafft…
Von Arved Fuchs
Taschenbuch
204 Seiten
Delius, Klasing, Bielefeld
Erscheinungsdatum: 1999
Michael Vogeley und Ingrid Ferschoth-Vogeley
Taschenbuch, 256 Seiten, 1996, Bruckmann, München, ISBN: 3765429481
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Der erste Führer, der verschiedene Trekkingformen in der Arktis vorschlägt und die geographischen und kulturell homogenen Regionen auf Baffin Island und Grönland zusammenfasst.
© 2001, Michael Vogeley für Photographer's Experience