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MICHAEL VOGELEY

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Marokko – Auf wilden Wassern in die Sahara

Text und Fotos: Michael Vogeley für Schwarz auf Weiss

Bar bela ma, Meer ohne Wasser, nennen die Bewohner der Sahara die größte Wüste der Erde. Eines der lebensfeindlichsten Gebiete unseres Planeten ist ihr Territorium. Um so exotischer erschien der Plan von „Polarwolf' Michael Vogeley, dort Wildflüsse mit Kanus zu befahren und in der Wüste zu paddeln. Michael treibt sich bevorzugt im Eis herum. Diesmal erkundete er die heiß-kalten Gefilde auf einem Fluss ohne Mündung.

Die entscheidende Minute des Tages ist da. Im unvergleichlichen Licht der Morgendämmerung beginnt die Wüste zu glühen. Dies ist der genau berechnete Moment des Morgengebetes. Die durchdringende Stimme des Muezzin im nahen Berberdorf fordert zur Demut gen Mekka auf – wie seit Jahrhunderten. Ungläubige, die wir sind, paddeln wir konzentriert auf den nächsten Schwall zu. Die beiden Schlauchkanadier reiten die Wogen gut ab. Peter Baumann, Freund und Begleiter auf einigen Expeditionen, steuert seinen Kanu souverän durch die brodelnde Gischt. Im Vorderteil des Kanadiers scheint der Rotschopf von Gaby Hirche wie ein Kobold über die Wellen zu hüpfen. Sie haut brav und vom Lebenspartner angefeuert mit dem Riemen in den weißen Schaum. An zwei Stechpaddeln sind schon Ehen und Freundschaften gescheitert! Meine Frau Ingrid ist wie immer voller Vertrauen und lässt sich vom Schwall den Schneid nicht abkaufen. Wir werden durchgeschüttelt und ziehen die Blätter kräftig durch das erstaunlich kalte Wasser. Gegen die glühend im Zenit stehende Sonne haben wir uns landestypisch mit den indigogefärbten Schechs geschützt.

Am Vortag. Ein feuriger Sonnenball stieg über schneebedeckten Bergen auf. In der Ferne realisierten sich im flirrenden Sonnenlicht und in einer Staubwolke ein Auto mit seltsamen Geräten auf dem Dach: Kanadier. Unsere Einfahrt in ein quirliges Berberdorf wurde zum Jahresereignis. Exotik pur. Die Frauen trugen mit stolzer Körperhaltung und Anmut schwere Gefäße auf den verschleierten Köpfen. Lärmende Kinder, staunende Berber in Djellabas und mit Schechs. Ein prüfender Druck auf die Gummiwände der Kanadier, Kopfschütteln, heftiges Diskutieren. Was wollen die Giaurs, die Ungläubigen, hier mit diesen seltsamen Geräten? Buntgekleidete Frauen hockten am Fluss und wuschen. Ein Esel röhrte infernalisch. Dromedare schritten hochnäsig durch den Sand, und Kinder liefen lachend auf uns zu.

Die Berber bewohnen ein Land voller Farben und bizarrer Naturformationen

Die Lehmhütten des Berg- und Wüstenvolkes stehen zwischen den Viertausendern des Atlas und der größten Öde der Erde. Die fröhlichen und gastfreundlichen Menschen in der marokkanischen Westsahara leben in einer Gebirgs-, Stein- und Sandwildnis, die tatsächlich auch von wilden Wasser durchströmt wird.

Die Schmelzbäche des höchsten nordafrikanischen Gebirges, mit schneebedeckten Gipfeln über 4000 Metern Höhe, stürzen aus den eisigen Flanken in die Hitze und bilden bis zu 1000 Kilometer lange Flüsse! Die Fluten sind das Lebenselexier für die Oasen, in denen berühmte Bauwerke stehen: Kasbhas, Wehrburgen seit biblischen Zeiten, zinnenbewehrte Kolosse aus Stampf-Erde.

Wildwasserboote müssen am Rande der Wüste ein ähnliches Ereignis sein, wie die Landung eines UFO vor dem Münchener Rathaus. Wir winken nur kurz, denn der Dadès fordert mit seiner scharfen Strömung und den Verblockungen unsere Aufmerksamkeit. Beim Besuch der farbigen Dörfer faszinieren uns die farbigen Souks, in denen hartnäckig gefeilscht wird, orientalische Musik dudelt und Bauchtänzerinnen lasziv füllige Hüften wiegen. Resigniert stellen wir fest: „So zu tanzen müssten wir erst lernen, den Bauch haben wir aber schon.“

Das unbegradigte Gewässer ist sauber. Solch einen Wildfluss muss man in Europa suchen! Das Tal wird enger. Bizzare rote Felsformationen künden den Beginn der Mohammed-Schlucht an. Die Schluchten des Dadès sind ein geologisches Weltwunder und werden mit dem Grand Canyon verglichen. Vor uns öffnet sich ein dunkler Schlund.

Das Wasser wird zwischen den 400 Meter hohen Wänden auf nur sechs Meter zusammengedrängt. Wir tauchen ein in kühle Schatten. Die Sonne erreicht uns hier unten nicht mehr. Himmelhoch über uns ein schmaler Streifen Blau. Es erfordert Überwindung, in dieses schwarze Loch zu fahren. Ein Entkommen über die Felswände wäre selbst für einen austrainierten Sportkletterer ein Hasardspiel. Wir lassen uns mit dem erstaunlich leichten Wasser treiben, bis wieder ein Katarakt den Adrenalinspiegel erhöht. Das Rauschen der Stromschnellen wird durch den Felskanal zum Tosen verstärkt. Die erprobten Trekkingboote nehmen gutmütig die Schwälle und tragen uns hinaus ins Licht – zu Palmen und Oleanderbüschen, zu freundlichen Menschen, würzigem Pfefferminztee und der köstlichen Spezialität Tajine.

Ein Sprichwort besagt, dass in der Wüste mehr Menschen ertrunken als verdurstet sind. Dem Weg des Wassers von den schneebedeckten Viertausendern durch die Kieswüste des Reg, den Bergen der Hammada, bis zu den Sanddünen des Erg zu folgen, ist das Ziel unserer Operation Wüstenschiff. Durch atemberaubend steile Canyons, vorbei an hohen Katarakten, die in Europa eine Touristenattraktion ersten Ranges wären, durch Schluchten, Dattelpalmenhaine und Sanddünen, beglotzt von wiederkäuenden Kamelen und bestaunt von quirligen Nomadenkindern. Exotischer und kontrastreicher kann ein Abenteuer kaum sein. Wüste und wilde Wasser sind ein Widerspruch in sich.

Kanutage durch 1001 Nacht

Wüste. Ein Zauber- und ein Fabelwort. Kies und Fels, Klippen und Türme, Berge und Schluchten, Dünen und Staub haben ozeanische Dimensionen, in denen alle Stufen der Verwitterung erhalten sind.

Aber es gibt tatsächlich auch Wasser! Auch Sand, dessen Rippen kreuz und quer verlaufen. Brechende hohe Wogen auf Kämmen, deren runde, harmonische Formen ein ästhetischer Genuss sind. Die Wüste wächst jedes Jahr um einige Kilometer. Unter ihrer verbrannten Haut liegt ein verschollenes Meer. Zwischen kilometerdickem Gestein wurde im Laufe der Erdgeschichte Wasser gespeichert. Ein Reservoir für Jahrhunderte, zum Anzapfen bereit. Ein zukünftiger Garten Eden?

Jeder der Tage auf dem Fluss ist durch Kontraste geprägt. Wir erleben staunend Sonnenuntergänge wie auf einer Kitschpostkarte, dann wieder Sternenhimmel wie mit funkelnden Diamanten übersät. Gluthitze, natürlich. Aber noch mehr feuchte Kälte in der Nacht. „Die Wüste ist ein kaltes Land, in dem es auch heiß werden kann.“

Der Schnee des Viertausender M'Goun versinkt im Dunst

Vergebens halten wir Ausschau nach Nordafrikas höchstem Berg, der Djebel Toubkal versteckt sich hinter anderen Bergen. Unsere Paddelschläge ziehen im rauschenden Wasser trichterförmige Strudel. Das wüstenhafte Hochtal passt so gar nicht zum munteren Fluss. Wir treiben in die kargen Berge des erdfaltigen Djebel Saghro. Grandiose Gipfel stehen in einer wilden Gegend, die St.Exupery einmal die „schönste und traurigste Landschaft der Erde“ nannte.

Der Fluss ist durch starke Regenfälle im Hochgebirge zu einem braunen Wüstling angeschwollen, der uns mit Rasanz hinein in die Wüste trägt. Regen fällt selten, dann aber maßlos. Die Dorfbewohner haben Stauwehre aus Steinen gebaut, um das kostbare Nass auf ihre Felder zu leiten: Seguias. Für uns sind es schwer kalkulierbare Hindernisse auf dem feuchten Ritt, vorbei an Feldern und Oasen, die vor Fruchtbarkeit strotzen. Wir rasten unter einer Wehrburg aus gestampftem Lehm und Strohhäckseln. Das Bauwerk ist ein architektonisches Kunstwerk und gab der berühmten Straße der Kasbahs ihren Namen. Die viereckigen Burgen mit Ecktürmen werden nun als Vorratsspeicher benutzt. Sie sind der Erosion schutzlos preisgegeben und damit dem Verfall. Die Weltkulturerben der Unesco zergehen im seltenen Regen und dem ständigen Sandstrahlgebläse des Windes. Alles Land war Wüste und wird es wieder werden.

Sahara – Endzustand aller Materie

Dann tauchen satte grüne Dattelpalmen in blendendgelben Dünen auf. Eine faszinierende Landschaftsform. Die Sahara ist die perfekteste Wüste der Erde. Der Fluss ändert seinen Namen in Draa und wird wildwassertechnisch leichter. Wir reiten einen „Wüstenfluss für Jedermann“ ab. Das silberne Band durchfließt eine einzige fruchtbare Oase, in der eine Million Palmen wachsen, von denen man eine süße Köstlichkeit erntet: Datteln.

Öfter laufen wir mit dem Kiel auf Fels auf, die Materie ist rauh und fest. Der Berber am Ufer haut seinem Esel anspornend eins drüber und ermuntert uns vor dem nächsten Schwall mit dem handfesten Ratschlag: „Yallah!“ Das bedeutet ins Bayerische übersetzt: „Pack mas!“ Einige Stromschnellen weiter schlagen wir die Zelte auf. Die strapazierte Platitude von Tausendundeinernacht wird Wirklichkeit.

Die Sonne ist hinter dem Sandmeer des Erg als glutrote Scheibe verschwunden. Wir biwakieren im „Hotel der Millionen Sterne“ unter einem vollkommenen Mond und lauschen dem Sausen des Windes. Das Gestirn ist prallvoll und nimmt dem atemberaubenden Himmel, der wie ein helles Vlies das Firmament erleuchtet, etwas von seinem Glanz. Wir rösten einheimisches Fladenbrot an einem Lagerfeuer aus Palmwedeln und rühren das kraftspendende Travel-Lunch, eine hochmoderne Expeditionsnahrung aus der Tüte, mit heißem Wasser an.

Die Zelte stehen und die Schlafsäcke sind aufgeschüttelt. Wir diskutieren die Route des nächsten Tages anhand der schlechten Karte. Der Fluss rauscht – wie wird es weitergehen? Fröstelnd kriechen wir kurz nach Sonnenaufgang aus dem Schlafsack und zelebrieren die Katzenwäsche im kalten Fluss. Die Sonne gewinnt an Kraft und verbreitet bald flirrende Hitze über den Dünen. Mit sanftem Hauch treibt der ständige Wind Sandkörner über die Ebene.

Im Eselsgalopp über Wasser in die Wüste

Hinter der scharfen Kurve dröhnt ein Schwall. Wir lassen uns in dieses „Sesam öffne dich“ forttragen. Noch einmal packt uns bewegtes Wasser. Im Eselsgalopp reiten wir auf dem quirligem Lebensspender weiter. Dann herrscht plötzlich Ruhe, der Fluss gibt nur noch ein sanftes Gurgeln von sich. Wir paddeln in eine überbelichtete Welt. Die Dünen der Wüste zeichnen sich ab, das Gebirge verebbt. Am Ufer zieht ein Dorf vorbei. Unter den grünen Blattdächern der Dattelpalmen hocken weißgewandete Beduinen. Die Frauen verstecken die hennagefärbten Gesichter hinter Schleiern und zeigen nur ihre neugierigen Augen.

Unsere Lippen sind rauh. Die vertikal herabbrennende Sonne ist unbarmherzig. Brandblasen auf den Händen haben wir durch Handschuhe beim Paddeln vermieden. Durst trocknet uns aus, und wir wollen weg vom Staub, den der Scirokko aufwirbelt. Der Fluss wird flacher. Er verläuft sich nach 50 Kilometern in der Wüste bei Hmamid. Nur alle Jubeljahre gibt es soviel Wasser, dass er den Atlantik erreicht. Er versickert im gelben Sand. Fast immer ist der Draa ein Fluss ohne Mündung, nur selten reicht das Nass aus, um sich in den Ozean zu ergießen.

Die großen Hügel der Dunes de Sables tauchen auf. Müde, aber glücklich, zerren wir unsere „Wüstenschiffe“ ans Ufer und starten zum Sturm auf einen der Dünengipfel. Bei der schweißtreibenden Kletterei versinken wir knietief im heißen, feinen Wüstensand. Dann liegt unter uns eine öde Landschaft von ergreifender Schönheit. Sand, überall Sand, der sich in sanften Formen und grellen Farben in absoluter Kargheit bis zum Horizont erstreckt – ein leeres Nichts mit einer schier endlosen Sicht.

Der Muezzin in Zagora ruft vom spitzen Minarett zum Gebet. Der bunte Wegweiser zeigt einen Beduinen mit Dromedar, daneben steht auf französisch: 50 Tage bis Timbuktu. Kameltage!
© 2000, Schwarz auf Weiss


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