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MICHAEL VOGELEY

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Tanz auf dem Vulkan

Schneeweiß ist das heiße Haupt des Ätna: Marginalien einer Skiüberschreitung

Von Michael Vogeley für AlpOnline

Sizilien ist fast ein kleiner Kontinent – und ein Gebirge im Meer. Der Klotz vor der Spitze des italienischen Stiefels ist eher zu Afrika als zu Europa gehörig. Die größte Insel des Mittelmeers ist voller Gegensätze: Zitronenhaine und glühende Sonne; quirlige Städte als Schmelztiegel vieler Besucher und Eroberer – und einsame Berge! Aber auch das schneeverkrustete Massiv des Ätna, mit eisigem Sturm nahe der Sahara und Vulkanismus im Eis. Der über 3300 Meter hohe Vulkan über der erschreckenden Vitalität Catanias ist von Ferne ein Bild reiner weißer Schönheit, gekrönt von einer ständigen Rauchfahne und bedeckt mit pechschwarzer Lava – ein heißkalter Riese. Die Welt der Lava und des Schnees „vor unserer Haustür“ ist entweder Paradies oder Hölle. Das Maß der Mitte scheint es hier nicht zu geben. Die meisten der etwa 1000 Vulkane rund um den Erdball schlafen. Nur etwa zehn sind es, die ständig aktiv sind. Der Ätna ist einer der lebendigsten davon. Michael Vogeley erkundete einen der aktivsten Vulkane der Erde, den größten Europas – und war „Feuer und Flamme“.

Heißer Schnee

Wir sind Anfang April dem Schmuddelwinter in Deutschland entflohen. Die scheinbare Sanftmütigkeit des bekanntesten Postkartenmotivs Siziliens trügt. Die farbigen Orangenbäume am Fuße des gewaltigen Berges sind nur Tünche über der nackten Gewalt des Vulkans. Zerrissene Felder erloschener Lava, zermalmte Häuser und verschüttete bizarre Bäume stehen im Kontrast zum Weiß des ewigen Schnees und der blühenden Plantagen. 1669 begrub glühende Lava das pulsierende Catania, die „betriebsame Tochter des Ätna.“ Eine gewaltige Aschewolke, die bis 30 Kilometer hoch in die Stratosphäre reichte, verfinsterte die Gestirne. Hunderttausende Tonnen Schlacke und ein gewaltiger Lavastrom ebneten das pulsierende Catania ein.

Fast jährlich wird in den Medien von Eruptionen und dörferbedrohende Magmafluten berichtet. Catania, ein südländischer Hexenkessel mit fast einer halben Million Einwohnern, dazu 17 Städtchen und 13 Dörfer – fast 700000 Menschen leben rundum am Fuße des Berges und sind von seiner Gnade ebenso abhängig, wie von seinem Zorn. Durchschnittlich alle drei Jahre wird das Ungeheuer zornig. Prognosen bleiben eine heikle Sache. So meldete sich erst 1998 der Ätna zurück und verbreitete Angst und Schrecken. Er köchelte erst auf Sparflamme, und dann kam der große Knall.

Im Februar 1992 öffnete das Valle del Bove besonders nachdrücklich seine Flanken. Der Vulkan rülpste gewaltige Schlackemassen aus seinen Hängen und kotzte Lava. Unter berstendem Krachen rollten mehrere Wochen Millionen Tonnen des irdischen Auswurfs auf die kleine Stadt Zafferana zu. Der Berg entwickelte einen wahren Feuereifer, eine Apokalypse strudelte auf die Häuser zu.

Den 10. Mai werde ich nie vergessen: Dank meines Presseausweises erhielt ich mit meiner Frau von den gestrengen Carabinieries die Erlaubnis, die sichernden Absperrungen zu passieren und eine Kostprobe aus den Gründerjahren unseres Planeten zu nehmen. Der phantastische Feuerstrom war wie eine blutende Wunde. Unerbittlich schob sich die fronte lavico, die Lavafront, vorwärts und zermalmte Pfirsichbäume und Rebstöcke in ruhiger Gleichgültigkeit: ein schnell fließender Gletscher aus Glut. Unsere Gesichter wurden in rosiges Licht getaucht. Es war ein Besuch nahe der Hölle, und das Ergebnis waren zerschmolzene Bergschuhsohlen, verbrannte Hände und eines der faszinierendsten Erlebnisse mit ungebändigter Natur in meinem Leben. Keinen Meter von uns entfernt schob sich innen hellglühende, oberflächlich graue Lava im Fußgängertempo auf die Weinberge zu.

Hubschrauber bombardierten mit Betonklötzen das Feuerloch. Ein in Anbetracht der nicht zu bändigenden Natur lächerliches Unterfangen. Grazie Governo hat der Besitzer eines zermalmten Hauses ironisch auf die als einziges erhaltenen Grundmauern geschrieben. Er haderte mit den zögerlichen Aktionen der Politiker. Dem Feuerdämon setzten die Einwohner ihren Fatalismus und ihre Religiosität entgegen: 1992 – an dieser Stelle hat die heilige Jungfrau unsere Gebete erhört und die Stadt Zafferana vor der Vernichtung bewahrt steht unter einem der Madonnenschreine in der kleinen Kirche zu lesen, der derzeit kräftigen Besuch verzeichnet.

Die alte Sizilianerin in Zafferana mit dem Faltenwurf um die Augen murmelt: „Gott schütze uns vor dem Ausbruch der Fossa Grande.“

Das Monstrum hat einen Umfang von über 140 Kilometern und außer den drei Hauptkratern in der Gipfelzone über 200 Nebenkrater an den schwarz-weißen Flanken. Die lebensfeindlichen und schneebedeckten Lavawüsten dieses „Gebirges im Meer“ sind für Skibergsteiger ein exotisches Ziel. Der Kontrast ist groß: südliche Sonne, kalter Sturm, Firnschnee und aktiver Vulkanismus.

Gelegentlich streicht aus dem nahen Afrika der Wüstenwind Scirocco herüber, der Mensch und Tier fast besinnungslos vor Hitze macht. Auf dem Dreitausender Ätna merkt man davon meist nichts.

Mit Ausbrüchen ist jederzeit zu rechnen. Der letzte große dauerte 1991 bis 1992 mehrere Monate. Die Lavaströme aus dem gigantischen Abflussbecken des „Ochsentals“ drangen zwar nur langsam aber unerbittlich vor. Eine 1000 Meter hohe Flanke öffnete sich. Manche Ausbrüche dauern Jahre, andere nur einige Tage. Fließende Lava kann bis 50 Stundenkilometer Geschwindigkeit erreichen.

Und dieser lebendige Berg soll ein ideales Skitourenziel sein? Die zwei Flugstunden von München nach Catania sind kurzweilig. Die Maschine ist vollgepfropft mit badewilligen und sonnenhungrigen Touristen. Spannend wird es, als wir das verkrustete Massiv des Ätna umfliegen. Der schneeüberzogene Berg hat eine großartige symmetrische Berggestalt, erfüllt seine Pflicht als Touristenattraktion und pafft eine fotogene Rauchfahne in den heiteren Himmel. Die unteren zerfurchten Hänge scheinen aus reiner schwarzer Kohle zu sein, die Chlor- und Schwefelausdünstungen bilden kleine feine Wolken über der Lapilli-Asche. Fast sieht es aus wie verdunstender Regen. Mitra Omidvar-Gorter, Kennerin Siziliens, die für den DAV Summit Club Touren auf den sommerlichen Gipfel Touren führt, erzählte mir: „In diesem Winter gab es viele Kaltlufteinbrüche. Es fielen sieben Meter Schnee!“

Klaus Ernstberger ist der beste Skitourengeher unter uns und hat in den heimischen Alpen von Kindesbeinen an verschneite Berge erstürmt. Thomas Pientka kennt „das große Weiß“ auch von Arktisexpeditionen. Franco hat es aus dem Trentino als Bergführer hierher verschlagen. Er lebt am Fuße des heißesten und gewaltigsten Vulkan Europas und kennt die nicht ungefährliche Schönheit wie seine Westentasche. Nur Sebastian ist waschechter Sizilianer – auch er führt Touristen auf das Massiv und hat den die Gipfel vielfach bestiegen, der seine Höhe durch den laufenden Aufbau der Eruptionen inzwischen auf über 3300 Meter „hochgeschraubt“ hat. Wo gibt es das sonst: Ein Berg, der wächst!? Wir sind ein gutes Team.

Gemütlich köchelt der Vulkan in einem rosarot gefärbten Morgenhimmel.

Am Rifugio Torre del Filosofo, 2 900 Meter über dem dunstigen Meer, ziehen wir bei einem bizarr erstarrten Lavastrom Felle auf die Ski. Hier in der Nähe hat sich der griechischer Philosoph Empedocles in einen Krater gestürzt, um „mit der Erde zu verschmelzen“, erzählt die Sage. Die Vereinigung gelang in der 1100 Grad heißen Lava wahrscheinlich vollkommen.

Das enorme vulkanische Massiv hat die Phantasie antiker und zeitgenössischer Dichter stimuliert. Die Griechen vermuteten hier die Schmiede des Hephaistos. Der hinkende Gott hatte in den Tiefen des Ätna seine Werkstatt. Oder Titan, den die Götter besiegten und unter dem Vulkan in Fesseln schlugen. Der Schlund wurde auch als Vorhof zur Hölle gehandelt, und seine Ausbrüche wurden als das fürchterliche Gebrüll der gefolterten Seelen interpretiert. Auch sollte hier die Schlafstätte des Riesen Typhon sein, dessen unruhige Träume die Umgebung erzittern lassen.

Mongibello: Berg der Berge

So nennen die Sizilianer liebevoll das heiß-kalte Monster.
Der Gipfel ist nicht weit. Eine Bergsteigergruppe hat im eiskalten Haus bei minus 20 Grad ohne Schlafsäcke und Decken biwakiert. Der zugige Kamin ist mit einer Plastikfolie verstopft. Der Berg zwischen Afrika und Europa steht extrem im Wind. Alpinisten sind hier im Winter eher eine Ausnahmeerscheinung.

Die Italiener frösteln und schauen uns sehnsüchtig nach, als wir aufgewärmt den nahen Gipfel der Bocca Nuovo angehen. Dr. Grisafi, Entscheider im Management des Parco dell'Etna, hatte uns mit unseren zwei „Vulkanfachleuten“ zusammen gespannt. Meine Freundin Maria-Theresa Galluzzo, Bergsteigerin und führender Kopf in der in Sizilien geachteten Organisation Frauen gegen die Mafia, hatte die Verbindung hergestellt. Leider ist die quirlige Sizilianerin heute nicht dabei. Die Mafia, weltweit gefürchtet und mit Ursprung Sizilien, erscheint uns im Angesicht dieser Urnatur völlig unwichtig und weit weg. Der untere Teil des Ätna ist bis in die Gipfelregionen hinauf mit Schotterstraßen erschlossen, die vor allem im Sommer genutzt werden.

Der Vulkan ist ein steingewordenes Inferno höllischer Urgewalten.

Unter uns wummert es. Der Vulkan rülpst und fegt eine Gasfahne in den blauen Himmel, die sofort vom Sturm verweht wird. Es ist arktisch kalt. Der Ätna „steht voll im Wind“. Bis zu den Bergen der Sierra Nevada in Spanien gibt es keinen höheren Gipfel. Äolus, der Beherrscher der Winde in der griechischen Mythologie, ist erzürnt über unser läppisches Treiben und jagt uns fauchend eine eiskalte Böe um die Kapuzen. Der Chill-Faktor wirkt in Sizilien nicht anders als in den Polarzonen und zerrt an den Anoraks.

Wir spuren durch die schwarze Schlacke eines Hochofens mühsam aufwärts. Die Skistöcke sind echte Hilfen, die Rucksäcke mit dem Biwakmaterial drücken. Mein Schatten weht über den grauen Schnee. Unten gleißt das Meer der wilden Zyklopenküste. Die 70 Meter hohen Klippen soll nach Homer der einäugige Riese Polyphen aus den Flanken des Ätna gerissen haben, um sie nach dem fliehenden Odysseus zu werfen. Büßerschnee ist beinhart gefroren. Am Gipfelschneefeld, das am warmen Kraterrand in schwarzem Bimsstein endet, sind wir vorsichtig. Unterirdisches Warmgas hat den Schnee unterhöhlt. Wir gehen vorsichtig wie in Gletschergelände.

Die permanente Aktivität konzentriert sich auf die Cratere Centrale und die Bocca Nord-Est. Die Lava steigt oft bis zu den Kraterrändern, die „Gipfel“ bilden. Am Kraterrand faucht es und zischt, brodelt und wirbelt, dampft und gast. Der Krater wurde erst 1911 geboren, die Bocca Nuova entstand 1968. Der Vulkan unterliegt ständigen Veränderungen. 1892 brach der Krater neben dem mit dem Auto erreichbaren Rifugio Sapienza aus: der Cratere Silvestri entstand. Im Bauch des Ätna schlägt die Schmiede der Götter Funken. Gebannt sitzen wir und schauen dem wehenden Spektakel zu. Wir husten. Der Schwefel schlägt auf die Bronchien und verbreitet den Geruch fauler Eier. Irgendwie riecht es nach Hölle.

Der Berg erfüllt seine Pflicht als Touristenattraktion und pafft eine fotogene Rauchwolke in den heiteren Himmel.

Unten ahnen wir die quirligen Bustouristen beim Rifugio Sapienza, einem Touristenhöhepunkt, vergleichbar mit der Talstation der Eibseebahn auf die Zugspitze: Mordsrummel, Touristenbusse, Andenkenshops, quirlige Kinder, die sich auf das Wunder Schnee stürzen. Die Hütte des CAF steht unversehrt zwischen den Armen eines erstarrten Lavastroms. Die Mauern des hotelartigen Komplexes sind ein wenig angesengt.

Unwillkürlich denkt man unbehaglich: „Wird es heute den großen Knall geben? Den Super-GAU?“ Tief drunten am spiegelnden Meer rösten knackige Schönheiten in knappen Bikinis an den weißen Stränden von Taormina unter dem Glutball der afrikanischen Sonne. Auf den Frühlings- und Herbsttouren der vergangenen Jahre war es mir immer zu heiß am „heißen Berg“. Im Hochsommer liegt die Insel unter der Glut des Scirocco brach. Doch jetzt, hier oben, Mitte April, auf über Dreitausend Metern? Schnee in schwarzer Lava, brausender Kältesturm, eisverkrustete Felsen in luftiger Höhe über dem Meer mit weitem Blick. Im Norden blinkt silbriges Meer. Im Süden ist unter einer Dunstglocke das chaotische Catania nur zu erahnen. Wir ziehen die Kapuzen dichter, verständigen uns brüllend gegen den scharfen Wind, der die Bocca Nuova umheult.

Am Vorhof zur Hölle

Mit leichtem Rucksack spuren wir zum Rand des Cratere Nord-Est, der höchsten Stelle des Bergmassivs. Wie lange noch wird er der Kulminationspunkt sein? Der Gipfel ändert sich ständig, bricht weg, baut sich wieder auf.

Der Sturm braust günstig aus Westen und jagt die Rauchwolken und eiskalten Nebel in die gute Richtung. Nicht umsonst war in der Antike der Berg ein Seefahrerzeichen, ein natürliches Leuchtfeuer. Auf dem höchsten Punkt beeindruckt uns der prächtige Blick auf die Äolischen Inseln und die Küste von Palermo. Eisanraum formt bizarre Gebilde in den Felsen, das Inferno der glühenden Lava im Schlund ist nur zu ahnen: Kratertheater hinter Vorhängen. Jagender Rauch zaubert faszinierende Schattierungen an die senkrechten Wände. Der Feuerberg hat sich in Gaswolken gehüllt. Beißender Schwefeldampf beschlägt die Brillen und lässt uns husten. Nur kurz ahnen wir den in der Waschküchenluft den glutroten Schimmer der Magma. Es stinkt penetrant nach faulen Eiern. Im Schwarz des Kraterrandes und im Weiß der Gase zerfließen unsere bunten Anoraks zu einem Schwarzweißfilm. Hephaistos´ Workshop ist in Aktion.

Vulkanismus ist leicht zu begreifen: Der afrikanische Kontinent eilt Jahr für Jahr Richtung Norden und schiebt den Meeresboden in 200 Kilometern Tiefe unter Sizilien durch. Für diese Bewegung der Erdkruste ist der Ätna seit Jahrtausenden ein Ventil. Gase trennen sich von der Schmelze und perlen wie Kohlendioxyd in einer entkorkten Sektflasche.

Der dicke Anorak hält Wind und Kälte ab, die schweißnasse Faserpelzwäsche klebt am Körper. Wir starten die ersehnte Abfahrt nach Norden – die verschneite Flanken locken. Erst mühen wir uns durch Bruchharsch, tiefer schwelgen wir in bestem Schmierfirn. Über eine weite gewellte Hochebene „lassen wir es laufen“. Wir fetzen über den konvexen Hang und scheinen über dem Grün der tiefen Felder in einem luftleeren Raum zu schweben. Bizarre Lavasäulen bringen uns zum Staunen: Wir flitzen durch eine eiskalte Märchenwelt aus Gnomen und Feen – phantastische Lavagebilde. 300 sichtbare Adventivkrater bedecken den Ätna wie Warzen.

Das Massiv ist auch ein Naturpark

Der Parco dell'Etna wurde erst 1987 gegründet. Immerhin misst er mehr als 50000 Hektar und ist in mehrere unterschiedliche Klima- und Vegetationszonen rund um die zerschrundenen Flanken und Zonen unterschiedlich zu schützender Priorität eingeteilt. Das Massiv bildet den heißesten, aktivsten und gewaltigsten Vulkan Europas – und einen der zornigsten der Erde. Durchschnittlich alle drei Jahre wird das Ungeheuer heftig. Seit 1980 wurden durch verstärkte Aktivität Straßen, Schutzhütten und auch Seilbahnen zerstört. Der große Ausbruch 1991, bei dem durch das Valle del Bove, einem riesigen Hochtal mit tausend Meter hohen Flanken, ein enormer Lavastrom floss, der erst kurz vor den Häusern von Zafferana zu stehen kam, bewegte die Medien.

Die Flanken, aber auch die Gipfel, sind ständigen Veränderungen unterworfen. Deshalb sind Höhenangaben auf den Karten mit Vorsicht zu genießen: 3350 Meter können höher oder niedriger sein, als Höhenmesser zeigen. Das Massiv hat eine Fläche von etwa 250 Quadratkilometern. In den tieferen Lagen entfaltet sich eine reiche Botanik. In den abgelegen Teilen kreucht, fleucht und fliegt eine für Italien erstaunlich vielfältige Fauna – bis hin zum Adler. Die zahlreichen Orte umgeben das Massiv kranzförmig. Es gibt ein gutes Straßennetz bis in Höhen von 2200 Metern. Wichtige Ausgangspunkte für den Bergsteiger sind Statione Sud mit dem Rifugio Sapienza und Statione Nord-Est bei Piano Provenzana. Beide sind im Winter auch Skigebiete mit Liftbetrieb. Im Sommer sind Jeepfahrten bis in die Gipfelregion möglich.

Der Ätna ist ein Skitourengebiet par excellence. Anfänger im Berg haben hier jedoch nichts verloren . Meist sind keine besonderen skitechnischen Schwierigkeiten zu bewältigen, aber in der Weltenferne des heißen Firns trifft kaum andere Skibergsteiger. Orientierungsvermögen im einförmigen Wellengelände ist gefordert. „Sehr interessant sind die verschiedenen Rinnen, die vom Observatorio Vulcanologico nach Nordosten herabziehen“, erzählt uns Franco. Steigeisen können im Spätwinter nicht schaden. Lawinengefahr gibt es auch hier, vor allem an den Nord- und Ostseiten des Ätna. Wie in den Alpen. Der Höhensturm erreicht oft 100 Stundenkilometer und mehr. Das Gelände kann bei Nebel sehr unübersichtlich werden, Nebel ist die Hauptgefahr am Ätna, man verläuft sich in der Lavawüste schnell. „Im Notfall müssen wir uns nach unten kämpfen. Das geht immer irgendwie“, ist Francos Rat. Man kommt immer – wenn auch oft mühsam – zu irgendeiner Straße. Absturzgelände ist eher selten.

Der eisige Feuerbauch

Der Grappa schmeckt bei der Rast vor der Grotta del Gelo, einer durch eine Eruption entstandenen Eishöhle. Wir klicken in die Steigeisenbindungen und klettern in den durch eine Gaseruption entstandenen Hohlraum. Unsere Stirnlampen reflektieren irrwitzig an den glasigen Wänden. Die Zacken scharren auf dem harten Schmelzwassereis.

Wieder draußen wird der Firnhang konvex – und steil. Lustvoll jauchzend fegen wir tiefer. Die grüne Ebene ganz unten lässt uns die Freuden der fruchtbaren Weinberge erahnen. Über uns steht eine große Rauchwolke: der Ätna atmet. Wir schwingen hinein in eine Frühlingswelt.

Noch um die Jahrhundertwende holte man das Eis vom Gipfel, um einen „Schlager“ zu produzieren, der einen Siegeszug um die Welt antrat: Gelatti, Speiseeis.

Die ersten Blumen zeigen sich auf einem jahrhundertealten Lavastrom, dann tiefer Pinien. Neues fruchtbares Leben entsteht aus der wertvollen erkalteten Magma. Die ersten Häuser von Piano Provenzana tauchen auf. Firnschnee stiebt, als wir beim Rifugio abschwingen.

Nachts beleuchtet ein heller Schein den Himmel rot und glühend – der Krater. Der rauchende Vulkan beherrscht den Blick in mondhelle Weiß: ein heißkalter Riese. Glühende Schlacke wird in den schwarzen Nachthimmel geschleudert, donnernde Eruptionen werden von lautem Pfeifen begleitet, Schrapnelle ziehen elliptische Bahnen.

Wir sind wieder eingetaucht in das köstliche mediterrane Leben: Pasta, Schinken, Früchte, Wein. Der Ätna ist ein Lebensspender mit schlechten Manieren. Die Lava enthält wichtige Mineralien und bildet das Material für eine Erde, auf der köstlicher schwerer Wein gedeiht. Über uns der rauchverwehte schneebedeckte Gipfel. Die Ski lehnen an der noch immer sonnenaufgeheizten Tavernenmauer. Hier brandete noch vor einigen Jahren die Lava gegen die Schlafzimmertüren.

Die Überschreitung des vitalen Skiberges liegt hinter uns, vom Rifugio Sapienza im Süden bis zur Skistation Piano Provenzana im Nordosten: Ein Tanz auf dem Vulkan. Die Steilrinnen Pineta di Linguaglossa fuhren wir im Traumfirn. In der Grotta del Gelo stiegen wir in den eisigen Bauch des Vulkans. Auf dem mondähnlichen Plateau Piano del Lago mit seinen zu kunstvollen Skulpturen erstarrter Magma war die Orientierung nicht einfach. Doch am meisten beeindruckte uns das „Bühnenbild“ mit seinem dramatischen Theater: die Gipfelregion des mythischen Berges, seine wummernden Gasausbrüche, der gelbe Schwefelstaub, die fauchenden Fumarolen, die Kraterterrasse mit ihren rotglühenden Löchern, die elementaren Naturgewalten… Ein exzentrisches Bergerlebnis.

Woouumm! Wieder grollt es. Der quicklebendige Vulkan ist unberechenbar. Fontänen glühender Lava sind hinter den weißen Gaswolken zu erahnen. Die amerikanischen Touristinnen sind einem klimatisierten Bus entstiegen. „Oh, you crossed the Ätna … nice … marvelous.“ Ausnahmsweise haben die Amerikanerinnen recht. Wir nehmen die Komplimente artig an und prosten uns mit dem süffigen Roten von der fruchtbaren Erde aus den Lavaströmen am Fuße des Vulkans zu. Der Berg nimmt – und gibt.

Der Zitronenhain auf Meeresniveau signalisiert: Wir sind zurück aus einer eisigen Welt.

© 2000, AlpOnline


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